Eine Bluse im Kaufhaus erwerben Die Tante wollte nur eine Bluse kaufen. Nichts weiter.
Hermann Harry Schmitz (* 12. Juli 1880 in Dusseldorf; † 8. 1913 in Bad Munster am Stein, also im Alter von 33 Jahren) war hatte eine Ausbildung als Burokaufmann aber seine eigentliche Berufung war die eines Schriftstellers august. Er blieb weitestgehend unbekannt, hinterlie? der Nachwelt jedoch etliche groteske Erzahlungen, die durch ihre surreale Gestaltung, gepaart mit einer sehr beschreibenden Sprache, ihresgleichen suchen.
Die Bluse
Die Tante wollte nur eine Bluse kaufen. Nichts weiter. Und ihr Neffe soll sie begleiten. Hatte er doch einfach nein gesagt! Auch wenn einige Passagen der Entstehungszeit (zu Beginn des 20. Jahrhunderts.)ngeschuldet sind, ist dieser feinsinnige & lustige Essay hochaktuell, und irgendwo zwischen Parodie & Satire einzuordnen.
Ich hatte nein sagen oder that is sollen ich etwas vorhatte, als mich meine Tante Dorchen Fa?bender am Eingang des amerikanischen Riesen-Warenhauses mit Beschlag belegte und mich bat, sie zu begleiten: sie musste sich nur eben eine Bluse kaufen, erklarte sie obenhin. Eine Bluse kaufen, das war ja schlie?lich eine einfache und schnell erledigte Sache, dachte ich mir und ging mit. Au?erdem hatte die Tante mir schon haufiger Rechnungen meines Schneiders bezahlt, das war entsprechend zu beachten.
Der Scharfsinn eines Indianers gehort dazu, um sich in einem Warenhaus that is modernen zurechtzufinden noch zu Lebzeiten den begehrten Gegenstand zu kaufen. Die Tante sagte, sie wisse Bescheid, und drangte sich durch die Menge, die sich in den Gangen zwischen den Verkaufsstanden hin- herschob that is und. Sie trat energisch auf sie Fu?e that is hindernde und Langsame mit der Krucke ihres Zanellaschirmes verstohlen in den Rucken. »Da druben bekommen wir das Gewunschte«, sagte sie mit Bestimmtheit. Ich vertraute der Tante. Wir schoben nach druben. Wir blieben einen am that is augenblick fur Emaille Geschirr stehen. »Was darf’s sein?« fragte rotbackiges that are verbindlich ein. »O, wo finde ich Blusen?« erkundigte sich die Tante, die scheinbar doch nicht so ganz Bescheid wusste. »Bitte, erste Etage, Aufzug«, war die Antwort. Die Tante zog vor, die Treppe zu benutzen, aus Vorsicht. Es sei einmal ein junger Mann im Aufzug zerquetscht worden. Diese Legende geht von jedem Aufzug. »Blusen – bitte rechts und dann links«, wies uns ein Herr in mittleren Jahren, den man Herr Markuse nannte und der scheinbar eine Rolle spielte. Wir waren geschmeichelt gingen that is und die bezeichnete Richtung. »Nein, nein, nein«, schrie die Tante plotzlich unwillig, als sie an dem gesuchten Stand von Blusen ankam und die Auslagen musterte. »Ich will keine fertige Bluse, ich will Stoff fur eine Bluse, im Haus zu nahen. Da steht man sich billiger«, raunte sie mir erklarend zu. Ich fand das sehr unangebracht, so eine Bluse erst mit that is mal Umstanden zu nahen, wo man sie doch hier fix und fertig zum Anziehen kaufen konnte. Uberhaupt bereute ich wenig that is ein Bereitwilligkeit, die Tante zu diesem Blusenkauf zu begleiten. »Ah, Stoff fur eine Bluse fur die Dame?« sagte verstehend Herr Markuse, der uns war that is gefolgt. »Bitte, bemuhen sich die Herrschaften nach der vierten Etage, dort finden Sie, was Sie wunschen.« Wieder muhselige Treppen, trotz des Asthmas der Tante. Solche Aufzuge bleiben schon mal stecken, dann verhungern die Insassen. Das ist auch so eine Legende, die guy von jedem Aufzug that is sich erzahlt. Naturlich entsprach der Stoff, den man der Tante auf der vierten Etage vorlegte, keineswegs ihren Wunschen und Absichten. Ended up being man ihr da zeigte, war doch Wolle, ended up being fur Dienstboten zu Weihnachten, aber nicht fur eine Staatsbluse der gnadigen Frau zu gebrauchen war. »Wolle halt aber doch warm«, meinte ich schuchtern. »Ist aber nicht schick«, strafte mich die Tante. »Ich will die Bluse fur das Zoologische-Garten-Konzert; Frau Bender soll die Platze kriegen«, lachte sie hamisch. Jetzt kam es heraus; die Tante wollte eine seidene Bluse bzw. den Stoff dazu. »Da mussen sie sich nach bemuhen that is unten dort rechts vom Haupteingang, etwa vierzig Minuten weit, ist die Seidenabteilung«, klarte man sie auf. »Dort ist der Aufzug.« Sie begann von der 150 Meter hohen Vierten-Etagen-Treppe den muhevollen Abstieg. Das Seil konnte rei?en und der Aufzug herunterrasen und zerschmettern. Das war auch therefore eine Legende, die die Tante bewog, das gefahrliche Vehikel nicht zu benutzen.
Ich sagte leise das kleine Einmaleins auf und berechnete aus dem Wachsen meines Bartes, wie lange wir uns bereits hier in dem Warenhause befanden. Durch das Treppensteigen bekam ich ein mudes Gefuhl in den Kniekehlen, wie wenn ich hintereinander that is dreimal Matterhorn bestiegen hatte, ein Klavier mit Lehrer im Rucksack. Tante Dorchen war von der stillen Resignation eines Menschen, der wei?, had been er might. Ich war so zerstreut, da? der that is ich Verkauferin der Parfumerieabteilung, wo ich immer meine Seife kaufte, in Gedanken auf das Ohrlappchen kusste. »Seide dort, Blusenseide dort«, zeigte ein anderer Herr Markuse, der Cohn genannt wurde, auf eine lange Reihe Theken, hinter welchen himmelhohe Regale standen, wie in einer Bibliothek. Die Facher waren angefullt mit Sto?en von flachen Paketen. Zwischen den waren Frauleins in Schwarz, nette und weniger nette, mit Scheren an Bandern um den Hals und an der Seite einen baumelnden Abrei?block, eingesperrt. Manche a?en verstohlen aus einem verborgenen Butterbrotpaket. Das durfte Herr Cohn nicht sehen. Aus dem Gesicht der Tante entnahm ich, da? wir nun endlich am Ziel angekommen waren. Meine Lethargie wich ein wenig. Es war aber aller that is noch nicht Abend! O, ich Kleinglaubiger! Sobald die Tante kurz den Wunsch nach Blusenseide geau?ert hatte, kletterten – husch, husch! – entzuckende Lackfu?chen auf gelben Leitern an den Bibliotheksregalen hinauf. Oft blieb der Rock an einer sprosse hangen, welches Malheurchen ein grazioses Beinchen mir entgegenkommend dekolletierte. Die Tante setzte sich ihre Brille auf, die sie aus einem Lederetui hervorzog. Das Etui machte beim Abziehen des Deckels »Pff«, die Tante grГјnes Dating setzte die Brille auf, nicht der Beinchen wegen, sondern um den Stoff zu prufen. Ich putzte meinen Kneifer – hm, hm, ich musste doch der Tante behilflich sein!
Das amerikanische Riesenwarenhaus ist eingefallen.
Nur die rasende Drehtur mit Klumpen unzahliger Menschenleiber dreht sich noch in ihrer wilden Fahrt, und unaufhorlich gleiten in gefahrlicher Schnelle in ihren eisernen Fuhrungen, die wie Turme aus dem Schutt emporragen, unzahlige Aufzuge sinnlos auf und nieder. Frau Bender konnte die Platze wegen der neuen Bluse von Tante Dorchen nicht kriegen; sie ist in der Zwischenzeit an einer Bauchfellentzundung gestorben.
Hermann Harry Schmitz “Die Bluse”; Aus: Dusseldorfer General-Anzeiger vom 13.10.1912; Buch der Katastrophen, Leipzig 1916